CORONA-BLOG

Tag 77 (Countdown 33)

77 und 33: Zwei Schnapszahlen auf einen Streich an diesem ersten Juni im Corona-Jahr Zweitausendundzwanzig. Und nun? Ein Schnäpschen heben? Wer Lust hat, nur zu! Ich halte es eher damit: Zur Kenntnis nehmen, lächeln, weiterlaufen. Wohin solls denn gehen heute? Nach Zürich. Will heissen. Vom Auto zum Bahnhof humpeln, vom HB zur Tramstation humpeln, von der Station “Quellenstrasse” zur Josefstrasse humpeln. Im Genossenschaftsschaftshaus in den dritten Stock humpeln. Sohn und Schwiegertocher umarmen. Auf das Terrässli humpeln. Und endlich: absitzen, palavern, auch über mögliche Geburtstermine. Wunschdatum derzeit: der zwanzigste Juni Zweitausendundzwanzig. Kann man auf so etwas “hinarbeiten”? Egal. Irgendwann alles zurückhumpeln. Und euch allen nun rumpel- und humpelfreie Nächte wünschend – und einen guten Start in die erste Juniwoche im Corona-Jahr Zweitausendundzwanzig.

Tag 76 (Countdown 34)

Die Amerikaner gehen auf die Strasse. Nicht wegen Corona oder wegen des Lockdowns, sondern weil ein weisser Polizist einen Schwarzen ermordet hat. Und Trump hockt, ohne einen Pieps zu verlautbaren, im Bunker. Brasilianische Fussballfans protestieren gegen die antidemokratischen Ansichten ihres Präsidenten, während radikale Rechte eine Militärdiktatur fordern. Und Bolsonaro? Reitet hoch zu Ross vor seinen radikal rechten Anhängern auf. Ohne Maske, obwohl in seinem Land das Virus noch immer nicht eingedämmt ist und Tausende an den Folgen der Corona-Infektion sterben. Und in der Schweiz? Rechnet die “Sonntagszeitung” vor, dass Anschaffung und Unterhalt neuer Kampfjets 30 Milliarden kosteten. Halb so viel wie soeben für das Rettungspaket der hiesigen Wirtschaft aufgeworfen wurde. Ein Idiot im Bunker, ein anderer hoch zu Ross, 30 Millarden für Kampfjets. Erkläre mir jemand die Welt. Ich kapiere sie nicht.

Tag 75 (Countdown 35)

Das erste Mal Besuch seit 75 Tagen. Wann hat es das je gegeben, so lange nicht für Gäste gekocht zu haben? Nie bisher in meinem ganzen Leben. Freundin K. und ihr Mann D. waren hier, und es war so viel zu bereden, dass wir in corpore abends um elf Uhr derart müde waren, dass wir den Abend wieder beendeten. Sozialleben ist anstrengend. Das merkt man erst, wenn man über Wochen keines hatte. Aber schön wars. Sehr schön.

Tag 74 (Countdown 36)

Seit ich an beiden Füssen lädiert bin, kann ich nicht mehr meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: durch die Welt spazieren. Glückliche Umstände, vielmehr: Ein klimatisches Phänomen erleichtert mir das Immobilsein und Zuhausebleiben. Die Wetterlage trägt einen Namen, einen schönen sogar. Bise heisst sie. Tritt sie auf, gewöhnlich mit Trara und viel Wind, vergällt sie einem das Verweilen im Freien und, sobald die Sonne weg ist, selbst das Cervelatbräteln im Garten von P. Denn irgendwann verbeisst sich die Bise derart in ihre Rolle, dass sie unaushaltbar bissig wird – und man nur noch das Weite suchen und sich in die warmen vier Wände zurückziehen will.
P. hat mich darauf gebracht, nach dem kühlen Nordwind zu googeln. Er meinte nämlich, neulich gehört zu haben, dieser sei ein rein helvetisches Phänomen. Et voilà! Recht hat er. Aus Wikipedia: “Die Bise oder der Biswind ist ein im Südwesten des deutschen Sprachraums (Südbaden, Schweiz, Vorarlberg) bekanntes Wort für einen aus Norden, Nordosten oder Osten wehenden, schneidend kalten, trockenen und aufhellenden Wind. Die Fachsprache der Meteorologie dagegen beschränkt das Wort auf ein regionales Schweizer Windsystem, das nur im Schweizer Mittelland auftritt (…).”  Ich orakle nun mal, dass ich genau dann wieder gut zu Fuss bin, wenn Madame la Bise von der Bühne abtritt und in der Garderobe ein Schläfchen macht, um für ihren nächsten grossen Auftritt gewappnet zu sein. Stabübergabe sozusagen. Wie ich mich freue!

Tag 72 (Countdown 38)

Ruft die Normalität: “Hallo, da bin ich wieder!” Sagen die einen: “Na endlich, wo warst du denn so lange?” Die andern: “Wer bist du, was willst du? Ich kenne dich nicht.” Nochmals andere: “Normalität?! Wer soll das denn sein? Hast du dich verlaufen, du Ärmste?” Wiederum andere schnauzen: “Blöde Schlampe, komm mir nicht mit deinen Heilsversprechen.” Oder sagen freundlich: “Hallo, du Schöne, ich weiss nicht genau, was du vorhast, aber ich begleite dich gern.”
Wie auch immer man es mit der Normalität hält (ist sie eigentlich blond oder brunette?), die Grundregeln der Höflichkeit gilt es wie bei allen Neulingen in der Gemeinschaft zu beherzigen: Willkommen heissen, gastfreundlich sein, das Gespräch suchen, hie und da ein Witzchen reissen. Kann ja nicht so schwer sein, oder? Ich arbeite daran.

Tag 71 (Countdown 39)

Ich mache ja keine halben Sachen, vor allem wenns ums Demolieren geht. An Auffahrt rutschte mir eine Flasche Schaumwein aus der Hand, prallte auf die Fessel des rechten Fusses und hinterliess daselbst eine Fleischwunde. Die heilte bis gestern schon recht gut, wie mir B. versicherte, sodass ich dachte, anderntags wieder mal durch die Welt spazieren zu können. Doch dann schlug ich mir nächtens die Zehen des linken Fusses an der Bettkaste derart heftig an, dass an etwelche Unternehmungen im Freien nicht mal ansatzweise mehr zu denken war. Nicht Corona hat mich lahmgelegt, sondern ein Selbstbeschädigungswahn, der – erster zaghafter Versuch einer Deutung -in einer nicht zu überbietenden, bodenlosen Schusligkeit fusst. Angeschlagene Grüsse von der Doppelhumplerin 😀

Tag 69 (Countdown 41)

Heute dank Freundin B. und Lieblingsfreund P. endlich geschafft, was mir schon seit Wochen auf dem Magen lag: ein Kürzestvideöli mit Mikro-Songanteil (1 Refrainwort) für den Geburri einer Lieben zu drehen. Ich wurde, das könnt ihr mir glauben, trotz meiner Versehrtheit ganz schön dran genommen. Denn die beiden nahmen ihre Aufgabe überaus ernst und wollten mich in irrsten Posen (auf wackligen Leitern) und Locations (im Hängesack am Baum) haben. Ich habe natürlich erst gemotzt und dann brav klein beigegeben – froh, wie ich war, dass mir jemand aus der Patsche hilft. Und es hat tatsächlich geklappt (sagt Filmerin B., ich wollte das Resultat gar nicht sehen, war nur froh, es war im Kasten), und alle waren zufrieden. Zumindest fast alle. Denn eine unverhoffte Nachricht hat das vergnügliche nachmittägliche Treiben – ich krümmte mich auf der Wiese vor Lachen – getrübt. Nun denn.

Tag 68 (Countdown 42)

Der Regen am heutigen Tag war schon länger angekündigt. Zeit, endlich den Artikel in Angriff zu nehmen, der mir so sehr am Herzen liegt. Eine “Denkpause” über die These des Buchs, von dem ich hier schon etliche Male gesprochen habe: dass der Mensch, entgegen seiner Meinung von sich selbst, im Grunde gut sei. Wie ein dichtes, knapp 500 Seiten dickes Buch aufs Wesentliche eindampfen – auf 6500 Zeichen? Ein Buch, das von den nomadisierenden Jägern und Sammlern bis zu den sesshaften und besitzenden Menschen des 21. Jahrhunderts reicht? Wahrlich kein einfaches Unterfangen. Aber die Kurve ist in Sicht, und die Konklusion steht schon. “Bitte sinnreich ergänzen”, würde es in einem Lehrbuch heissen. Ich ergänze jetzt sinnreich mit einem Teller Pasta und Ablenkung mittels Glotze. Buona serata a tutti!