Tag 10

Sie wollen mich nicht auf dem Feld. Das ist kein Witz. Die Antwort von der Jucker-Farm (die und deren verlinkte Höfe in meiner Nähe wären) ist lapidar: Sie hätten schon genügend Erntehelfer. Was denn nun: genügend oder nicht – und wieso dann die verzweifelten Aufrufe nach mehr Personal? Egal, denke ich. Wenn sich nun tous les suisses als Erntehelfer verdingen, umso besser. Dann werden all die Spargeln hoffentlich allesamt geerntet und allesamt auch gegessen. Ich starte noch einen Feldversuch in Flaach, dem kantonal wichtigsten Anbaugebiet von Spargeln. Und falls die mich auch nicht wollen, spiele ich halt wieder Pianoforte (sorry, liebe Nachbarn). Ansonsten: nur gearbeitet heute, kein Spaziergang (das Fehlen desselben ist spürbar), für mehrere Tage Wurzelgemüse-Curry gekocht, Fernstzerwürfnissen beigewohnt, beruflich und auch privat. Die hören ja nicht einfach auf, nur weil Corona gerade das Zepter schwingt. Aber sie finden vielleicht andere Wege, beigelegt zu werden, gerade weil Corona das Zepter schwingt. So hoffe ich und versuche, meinen Teil zur Lösung beizutragen. Und sonst habe ich heute leider keinen Gedanken für euch.

Da wummert doch noch ein Gedanke: Was bedeutet es, Freiheit zu haben? Ist Freiheit ein Gefühl oder Gewissheit? Und hat Corona das Gefühl oder die Gewissheit beschnitten? Wenn ja, wie? Anders gefragt: Lebten wir bis anhin in einer Illusion des Gefühls von Freiheit oder in deren Gewissheit? Ich lechze nach Antworten. Bitte melden!

Tag 9

Dunkel kann ich mich erinnern, als ich in den noch “harmlosen” Anfängen der Corona-Tage sagte: Wovor ich mich am meisten fürchte, ist die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit. Das ist mittlerweile noch nicht vollumfänglich, aber zu wahrscheinlich etwa 80 Prozent eingetroffen. Erstaunlicherweise kann ich besser damit umgehen, als ich mir damals dachte – bis jetzt. Deswegen überlege ich: Was tun, wenn plötzlich freie Zeit da ist? Das ist übernächste Woche der Fall, wenn wir keine Zeitschrift zu produzieren haben. Wieder Klavier spielen: klar. Theaterstücke erfinden: ja, auch. Aber mein dringendstes Bedürfnis ist es, raus aus dem (sehr wohl sehr schönen) Haus zu kommen. Dem kreislaufenden Zusammensein mit mir selbst eine Pause zu gönnen. Drum habe ich mich zum freiwilligen Ernteeinsatz gemeldet. Dies nachdem ich in den News vernahm, dass zumal die Spargeln im Boden zu bleiben drohen, wenn sich nicht genügend Erntepersonal einstellt – und dieses kommt gewöhnlich aus dem Ausland, kann aber jetzt wegen Corönchen nicht mehr einreisen. Ich werde wahrscheinlich zusammenbrechen nach zehn ausgestochenen Spargeln, werde 20 Kilo abnehmen und 30 Kilo wieder zufuttern, aber doch: Ich freu mich drauf – falls man mich denn will auf dem Feld 😉
Amici del sud, amici del nord, amici del lavoro agricolo, amici da dappertutto: vi abbraccio!

Tag 8

An diesem freien Tag , da ich eigentlich nur Turnübungen absolvierte, Waschungen aller Arten vornahm und einkaufen ging, ist mir ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Aber erst gehen wir einkaufen, man muss den Tag vernünftig einteilen, sonst droht er einen zu überrollen mit dem ewigen Einerlei. Im Migros gibts alles – ausser das, was ich gebraucht hätte: einen Schraubhaken, an dem man eine Vorhangstange aufhängen könnte. Denn die Warenregale mit den paar Werkzeugen sind abgesperrt wie auch jene mit den Glühbirnen. Was mich seltsam dünkt, weil Glühbirnen für die Aufrechterhaltung des Daheims nicht unerheblich sind, geschweige denn Nagel und Hammer. Dafür gibts Kerzen in rauen Mengen, um unsere Höhlenwände zu beschimmern. Zurück zu den Schraubhaken. Damit hat es folgende Bewandtnis: Wenn ich homeoffice, blendet mich die Sonne trotz Storen so sehr, dass ich nichts sehe ausser meiner eigenen Spiegelung, und von der habe ich nach einer Woche in mehreren Belangen mehr als genug. Also würde ich gern an zwei Schraubhaken eine Vorhangstange (inkl. Vorhang natürlich) montieren, auf dass ich in Zukunft wieder mehr als (meine) Spiegelung sehe. Auf dem Spaziergang später durch den Wald überlege ich an einer Modifizierung der Gardinenaufhängung, hab auch eine Idee – und nach dem Besuch im Garten von P.: einen Haken! Denn P. hat werkzeugtechnisch alles zu bieten, was Migros nicht mehr verkaufen darf. Wieder zu Hause: den Vorhang nähen (Stoffe habe ich à gogo) und die ganze Chose montieren. Das ist im Hui erledigt, und es ist immer noch erst 17.30 Uhr. Hier noch der versprochene Gedanke: Niemand kann derzeit irgendwas verpassen, weil alle das Gleiche tun: zu Hause bleiben. Wahrlich eine Unité de doctrine.

Tag 7

Senile Bettflucht, viel zu viel gearbeitet, vor allem zu nonstop. Abends endlich ein Spaziergang durch den Rebberg, von oben nach unten, von links nach rechts und wieder zurück. Das Glitzern des Sees, wolkenlos der Himmel, eiskalt die Bise, auf Abstand die Begegnung mit andern Flaneuren. Corona beherrscht auch an Tag 7 alle Kanäle und Gedanken, es gibt kein Vorbeikommen, nur ein sich Draufeinlassen. Zu Hause bleiben, die Ungewissheit aushalten, auch die Einsamkeit manchmal. Eine Facetime-Telefon mit Freunden: wie schön! Und dann ein Sturz von der steilen Treppe im Flarzhäuschen – weil ein Gedanke nach dem Motto “Nie leer laufen” dem Teeglas in der oberen Etage nachhing, das nach unten hätte gelangen müssen, ein anderer aber bereits den Compi mit einer Idee speisen wollte. Kurzschluss im Hirn sozusagen, die Füsse überkreuzten sich, und Frau strauchelte. Ohne Rippenbruch diesmal, immerhin. Aber eine monströse Prellung steht in Aussicht, die erst die Farbe von reifen Zwetschgen annehmen dürfte, die dann ins Giftgrün wechseln und sich schliesslich als Zeichen baldiger Heilung in jenes Sturmgelb verwandeln würde, das einen ganz kirre macht. Farbenlehre auf dem Oberschenkel. Aber nichts im Vergleich zur beklemmenden Corona-Atemnot.
Hier noch ein bisschen Zuversicht von Zukunftsforscher Matthias Horx.
Und hier ein Bild des menschenleeren HB Zürich von Fotograf Philipp Rohner: hoch ästhetisch und zutiefst beklemmend.


Der HB Zürich in Zeiten von Corona, fotografiert von Philipp Rohner.

Tag 6

Erwache um sechs Uhr. Ich huste und habe sogleich eine Anwallung von Panik: Huste ich trocken oder nicht? Ich möchte es nochmals hören, huste aber nicht mehr und schlafe wieder ein. Was für ein Geschenk, dieser Schlaf. Zehn Uhr. Die Zeitungen stapeln sich, ich lese News nur punktuell, nur online. Freue mich über das Buch, das der Velokurier von der Buchhandlung in Stäfa hochpedalt hat und das nun überpünktlich im Milchkasten liegt. “Im Grunde gut” von Rutger Bregman. Das Interview mit ihm gelesen in der “Republik”. Er sagt, der Mensch sei gar nicht so schlecht, wie er zu sein meint. Wie aufmunternd! Apropos “Republik”: Der Newsletter war heute erstmals mit “Ladies and Gentleman and everyone anywhere in between” tituliert, oder so ähnlich. Freute mich still. Und fragte mich: Freut sich jemand mit mir? Ansonsten strenger Tag trotz aller Dizisplin (Fitness und so): Die Decke droht mir auf den Kopf zu fallen. Da ich in einem Flarzhaus wohne, kann die Decke gar nicht so tief fallen, denke ich. Und freue mich still. Bis ich die Stille nicht mehr aushalte und auch die Last der niedrigen Decke nicht, die zu fallen droht. Also rausgehen, um dick eingemummt mit Militärmantel und XL-Schal wenigstens für Augenblicke die Freude und die Fragen und das schwer Auszuhaltende mit einem Freund da draussen zu teilen.

Tag 5

Samstag. Freunde treffen, kochen? Nix da. Die einzige Aussenaktivität: Päckli auf die Post bringen für die Lieben, Blumen an einem Selbstbedienungsstand kaufen, Zigi im Kiosk. Wieder zu Hause: Fitness auf dem Mätteli. Dann die andern “Turnübungen”: Fenster putzen, inklusive Rahmen. Weiss nicht, wann ich das zum letzen Mal gemacht habe, so ausgiebig pützeln und fegen bis zum Gehtnichtmehr. Irgendwann hat auch die Putzerei ein Ende. Pause machen mit einem Apéröli, nach draussen schauen, den wenigen Menschen beim Spazieren, Velo fahren und Joggen zusehen. Ein Gedanke heute: “Meh Dräck” war mir immer wichtiger als übertrieben hygienisches Getue. Und jetzt haut der Virus genau da rein und ruft nach noch mehr Hygiene. Schräg. Der Angelpunkt des Abends, die “Tagesschau”, macht müde. Weiterstricken an den Corönchen dagegen ist spassig. Und also waren es schon drei. Und übermorgen sind es sechs, und überübermorgen zwölf, und überüberübermorgen vierundzwanzig.
Bonne nuit, mes amis!

Corönchen von Bettina.

Tag 4

Man gewöhnt sich an alles, heisst es und hab ich selbst erfahren. Aber noch bin ich Lichtjahre davon entfernt. Es ist wie Schweben in einem virtuellen Hyperraum, bei dem man sich fragt: Wo werde ich ankommen? Und wie sehr werde ich, werden wir, wird unser Raumschiff ramponiert sein? Alles wie in Trance: Zettel fassen, um einzukaufen , mitbekommen, wie viel Solidarität da ist, mitklatschen punkt halb eins, zur Kenntnis nehmen, was noch alles schief läuft. Uri prescht vor – das Tor zu Italien, ha! Und wir schweben hinterher. Ein Trip, besser kann’s keine Droge. Unwirklich. Aber knallharte Realität. Ich hätte gern Blumen gekauft heute, aber es gibt keine mehr.

Tag 3

Immer noch Homeoffice, Homeoffice, Homeoffice. Sich an die neuen Prozesse gewöhnen. Endlich papierlos (geht ja ;-). Gleichzeitig knallblauer Himmel, Wärme, sich ankündigender Frühling, Sommer gar. Unbändige Lust rauszugehen. Bloss: wohin? Gegen Abend ein Besuch, der jetzt noch geht: im Garten von P. Vielleicht ist morgen schon Ausgangssperre. U. ruft an: Kommst du zum Znacht? Ich: Nein. Ich komme nirgendwo mehr hin derzeit. Ein Telefon mit dem Lieblingssohn: Ich hab jetzt schon die Schnauze voll von allem. Aber auch: Denken wir an all die, die noch beschissener dran sind. Menschen ohne Zuhause, Menschen ohne Essen, Menschen ohne Einkaufmöglichkeiten. Menschen ohne Versicherungen und ohne Zusicherungen vom Staat. Menschen ohne Hoffnung. Die App mit dem Trainingsprogramm runtergeladen. Frau muss sich ja bewegen und etwas tun für ihre älter werdenden Gelenke… TV-News: hach! GNTM : Autsch. Aber immerhin ablenkende Unterhaltung. Jetzt dann grad: lesen. Takis Würger (“Der Club”). Grossartig! Hey you, outside from this virtual wall, can I touch you?

Tag 2

Homeoffice, Homeoffice, Homeoffice. Das Positive daran: Plötzlich funktioniert, was jahrelang unmöglich schien – und es funktioniert perfekt (danke IT!). Schon um 7 Uhr am Arbeiten. “Sitzungen” per Mail, Abläufe, die “gewöhnlich” nur mit Ausdrucken funktionierten: Sie klappen nun auch elektronisch. Hoffentlich hält das Netz… Aufpassen, nicht zu verschluddern. Homedress: ab, Dusche und Kleider: an. Kurz einkaufen, es fühlt sich verboten an. Später ein Spaziergang fühlt sich ebenso an. Eigentümlich. Der Sohn und die Schwiegertochter in spe wieder aus Madeira zurück, einer der letzten Flüge: uff! Ein Telefon, zwei, drei. Dann wieder Stille. Und doch ist da: ein Lied im Ohr…

Neue Zeit: Tag 1

Hallo, ihr alle da draussen! Physisch treiben wir zwar an Ort, aber lasst uns im Geist reisen, die Welt durchkreuzen, uns austauschen, uns zum Lachen bringen. Mein Tag 1 im Homeoffice: Wie kriege ich den verflixten Geschäfts-Laptop an den Monitor angeschlossen? Unter den Dutzenden Kabeln, die seit Jahren in einer Kiste lagern: kein einziges mit USB-USB-Verbindung. Also Monitor-Eingänge studieren, den Migros aufsuchen und eines kaufen, das vielleicht passen könnte. Ich darf berichten: Ja, ich kanns, ich habs geschafft 😉 Herzlich, Giulia