Tag 21

21 Tage, 3 Wochen, 504 Stunden oder 30’2040 Minuten sind in diesem ausserordentlichen coronalen Zustand schon ins Land gezogen. Alle haben wir unseren Lebensradius aufs Nötigste beschränkt. Und sind nun also seit 504 Stunden daran, uns in der Regel im häuslichen Rahmen zu beschäf-tigen. 9 der 504 Stunden, 540 Minuten also, habe ich heute damit zuge-bracht zu streichen*. Ich meine natürlich: zu malen. Die Küche. Das ist wie Dauerlauf, wenn man mal beginnt. Alles rausräumen, die Vorhänge in die Waschmaschine, alles, was irgendwo hervolugt wie Gardinenaufhängungen oder Elektrodöschen: abmontieren. Dann Gipsdecke abwaschen mit diesem grausligen Giftzeugs (ohne Maske, aber mit Seidentuch um Mund und Nase). Dann das mühselige Abdecken (muss sein ohne Profi-Malerhänd-chen), endlich erste Wand streichen, sehen: Oh! Ein Anstrich genügt wohl nicht. Also Vollgas einmal durch (muss ja noch mal drüber). Und dann halb drei doch schon fertig mit Doppelanstrich. Also noch die Fenster malen (haha, nicht die Fenster, sondern die Rahmen). Wieder abkleben. Vor-anstrich, Seidenglanz, traritrara. Aber pünktlich zum Züri-Girls-Videochat um 17 Uhr: parat. Vita parcours par excellence.
* Nicht uninteressant, mal 9 Stunden oder 540 Minuten einfach zu streichen: I’m not there. Mach ich morgen vielleicht. Merkt niemand, übrigens. 😀

Tag 19

Let’s talk about food. Was esst ihr denn immer so, ihr alle da draussen? Ich liebe es zu kochen, tat das allerdings vor Corona so gut wie nie für mich allein, umso lieber für Gäste, die dann jeweils herhalten musste, wenn ich etwas Neues ausprobierte. Umso spannender war es für mich, wie ich nun in der virusbedingten Solo-Situation verfahren würde. Nicht mehr Resten vom letzten Gastmahl essen die ganze Woche über, sondern für mich selber etwas zubereiten, das auch über mehrere Tage hinhält. Ich darf berichten: Es funktioniert. Ganz anders als bisher, aber es funktioniert. Nehmen wir etwa grünes Saisongemüse wie Mönchsbart (ich liebe barba di frate, wie er italienisch heisst), grünen Spargel oder Kefen. Kaufe ich eines der Gemüse, verarbeite ich es sofort: blanchieren, mit kaltem Wasser abschrecken, um den Garprozess zu stoppen und die grüne Farbe zu erhalten. Und je nachdem, worauf mich abends gelüstet, kombiniere ich einen Teil der kühlgestellten Grünlinge. Heute zum Beispiel einige Stücke der Spargeln mit Risotto. Und weil da ein paar Tomätchen vor sich hinschrumpelten, schob ich sie zuvor mit gepresstem Knoblauch, grobem Salz, Cayennepfeffer und Rohrzucker 20 Minuten in die Heissluftwärme. Die schrumpligen Roten haben den Spargelrisotto optisch und mit ihrer süssen Schärfe geschmacklich so etwas von aufgepeppt, dass ich das Rezept in den Kanon aufnehme. Anmeldung zum Gastmahl nächsten Frühling: ab sofort möglich!

PS: Die Tatsache, dass ich seit Beginn des Lockdowns noch nie Esswaren fortgeschmissen habe, was zuvor leider schon hin und wieder der Fall war, verbuche ich definitiv als Pluspunkt im noch ungeschriebenen Kapitel “Positive Auswirkungen der Krise”.

Tag 18

Der letzte Tag Homeoffice vor den “Ferien”. Ein feierliches Begängnis, könnte man sagen. Ich freu mich sehr. Im Mikrogärtchen endlich mal makrojäten. Dann die Küche streichen. Blanc de blanc. Blanc de blanc kommt erst an die Wände und nach vollbrachter Tat in die Kehle. Es war beiderseits spassig, mit dem Malereibedarfshändler zu telefonieren vor zwei Tagen, um das Material zu bestellen. Er sagte ohne Unterlass: “Und wenn was fehlt, einfach anrufen!” Was ich heute, bevor ich die Ware holen ging, prompt auch tat. Denn etwas hatte ich tatsächlich komplett vergessen. Um die vergipsten Decken (die ich nicht übermalen möchte) mit dem ätzenden Salmiak sauber zu kriegen, bräuchte ich nämlich Arbeiter-schutzmasken. Also angerufen, gefragt, und dem Herrn Malereibedarfs-händler beim herzlichen Lachen mit Vergnügen zugehört. Denn natürlich sagte er: “Haben wir schon lange nicht mehr.” War ja klar, aber es war lustig, das Spiel duchzuspielen. Normalerweise hiesse es ja: “Wollen Sie die Masken im 10er- oder 20er-Pack?” Und auch mit dem Getränkehändler – apropos blanc de blanc – ist es stets spassig zu parlieren. Heute beim Grappaeinkauf – ja, der Getränkeladen ist noch offen, er gehört im Gegensatz zu Blumenläden zur Grundversorgung – kroch da tatsächlich der neben mir einzige Kunde im Laden ewig vor dem einzigen Grappagestell herum. Kein Witz: Er kroch! Jedenfalls begann mein Getränkehändler zu erzählen, welchen Grappa er mir als absolutes Greenhorn (ich mag keinen Grappa; ich kaufte diesen für Freund P.) empfehlen würde, und als der einzige Kunde neben mir immer noch vor dem einzigen Grapparegal rumkroch, griff sich mein Getränkehändler eine Flasche billigen Fusels und haute diese dem Grappakriecher über den Kopf. Das hingegen, meine Lieben, war ein Witz. Lacht ihr mit mir? Im Ernst: Mein Getränkehändler schaffte es irgendwie, sich unter Wahrung der Zwei-Meter-Regel an dem vor dem Grapparegal herumkriechenden Kunden vorbeizuschlängeln (eine artistische Grosstat!), um mir THE bottle Grappa zu bringen. Keine Frage, dass ich sie ungesehen kaufte für 49 Stutz. Wie lange der einzige Kunde neben mir noch vor dem Regal herumkroch, ist derzeit leider unbekannt. Aber ich werde recherchieren und euch à jour halten.

Tag 17

Knocked out, locked down. Arbeiten, schlafen, bumm.
Dazwischen noch ein paar Missverständnisse klären, zusammen heulen am Telefon. Wir kommen grad in corpore an Grenzen. Drum war da grad nicht mehr viel Text. Aber erzählt, was ihr erlebt! Wie geht es euch allen da draussen?

Tag 16

Kann es sein, dass die Epidemie, die zwar Angst und Schrecken mit sich bringt, vor allem aber auch eine ungeheure Solidarität und Hilfsbereitschaft in den Menschen wachruft, bereits das nächste Krankheitsstadium erreicht hat? Eoigsmus und Besserwissertum verbreiten sich plötzlich wieder in Windeseile, und wo grad noch grosses Vertrauen da war, alles nun gemeinsam zu packen, greifen heute die “Mächtigen” schon wieder nach ihren Pfründen, was wiederum die “Untergebenen” ihrer Kraft beraubt, die sie ja eigentlich zu geben hätten – und auch geben wollten. Und schon wären wir wieder beim alten Spiel. Ich bin es müde.

Tag 15

Einige Parteien fordern per Mitte April bereits eine Lockerung des Arbeits- und Ladenöffnungsverbots. Nichts gegen ihre hoffentlich gute Absicht, Unternehmen und Gewerbetreibende vor dem Untergang zu bewahren. Aber seltsam ist ihr Vorhaben schon, wenn nicht realitätsfern. Bei den Menschen dieses Landes setzt sich mittlerweile eine andere Sicht der Dinge durch: Es wird noch ziemlich lange dauern, so die Stimmen im Umfeld. Halten wir lieber jetzt durch. Denn: Würden wir jetzt aufgeben, riskierten wir eine Verschlimmerung der Situation und provozierten am Ende gar Welle zwei. Die gefürchtete zweite Welle. Wer sich mit dem Ablauf der Spanischen Grippe befasst hat, dem graut in der Tat vor einer zweiten Welle – von der dritten nicht zu reden.
Darüber hab ich mich heute auch per Videochat mit dem Lieblingssohn und der Lieblingsschwiegertochter unterhalten. Sie sind, er 35, sie 30, noch viel konsequenter und strikter als ich. Und das, obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie Mitte Juni Eltern werden. Sie stellen sich jetzt schon darauf ein, noch ein Weilchen mit vielen Komplikationen umgehen zu müssen und schliessen nicht aus, dass dieses Weilchen über den Geburtstermin hinaus gehen können. Das beeindruckt mich, hilft durchzuhalten und auf ein Treffen im Freien, das ich vorgeschlagen hatte, zu verzichten. Schliesslich sind die Dreissiger und natürlich auch die Zwanziger und die Vierziger und die Zehner – hach, meinetwegen alle – die Generationen, die den Karren wieder zum Laufen bringen müssen, wenn Corona vorbei sein wird. Ohne weitere Wellen. So hoffen wirs. Chears!

Tag 14

Statt eines Posts ein Lieblingsgedicht:

Soviel Gestirne, die
man uns hinhält. Ich war,
als ich dich ansah – wann? –
draussen bei
den andern Welten
O diese Wege, galaktisch
o diese Stunde, die uns
die Nächte herüberwog in
die Last unsrer Namen. Es ist
ich weiss es, nicht wahr,
dass wir lebten, es ging
blind nur ein Atem zwischen
Dort und Nicht-da und Zuweilen,
kometenhaft schwirrte ein Aug
auf Erloschenes zu, in den Schluchten,
da, wo’s verglühte, stand
zitzenprächtig die Zeit,
an der schon empor- und hinab-
und hinwegwuchs, was
ist oder war oder sein wird -,

ich weiss,
ich weiss und du weisst, wir wussten,
wir wussten nicht, wir
waren ja da und nicht dort,
und zuweilen, wenn
nur das Nichts zwischen uns stand, fanden
wir ganz zueinander.


Paul Celan, aus „Die Niemandsrose“, 1963

Tag 13

Der Sonntag haut rein. Er zieht sich hin wie sie: die Ausnahmezeit, die kein Ende nehmen will. Steigende Ansteckungen weltweit, steigende Todesfälle ebenfalls. Der Peak der höchsten Ansteckungsrate wird im mittleren Szenario per Ende Mai erwartet. Im mittleren Szenario, notabene… Ausnahmezeit, diese wattegedämpfte Glocke, unter der wir hocken wie Gartenzwerge in der Wüste oder wie…? (Achtung, Wettbewerb: Für den besten Vergleich gibts wahlweise ein selbstgestricktes Corönchen oder ein selbstgestricktes Corönchen.)
Was, wenn die Ausnahmezeit nun zur Regel würde? Wenn der Optimismus Schiffbruch erlitte? Man will es sich nicht vorstellen. Erfreulicheres: Es mag absurd klingen, aber der Churchill-Film “Die dunkelste Stunde” (27. März, 20.15 Uhr, auf S1) hat mich für anderthalb Stunden in eine andere Zeit katapultiert – und ja: mir ein Lichtlein angezündet. Ich möchte die der-zeitige Pandemie nicht mit dem Grauen des Zweiten Weltkriegs gleichset-zen, doch zurückschauen hat etwas Entspannendes, vor allem weil wir ja schon wissen, dass die Guten siegreich waren. Churchill jedenfalls, dieser eigenwillige Kauz und “Hochrisikomanager” (wie ihn ein Wirtschaft-medium titulierte): Er fesselt ungemein. Entschieden stellte er sich 1940 nach seiner Wahl zum Premier gegen “Friedensverhandlungen” mit den Nazis und schaffte es, sein Land im Kampf gegen das Schreckensregime hinter sich zu einen und damit nicht nur den Briten, sondern allen Europäern einen Funken Hoffnung zu schenken. Was heisst hier einen Funken? Einen ganzen Funkenregen! Den wünsch ich euch auch. Einsingen mit Stimmtuul um neun Uhr morgens hilft vielleicht. Viel Vergnügen.

Tag 12

Stundenlang durch die Welt spaziert heute. Durch Rebberge, Wälder und Felder. Auf einer Mauer im Lattenberg Zeitung gelesen. Im “Magazin” auf den online scrabbelnden Patrick Frey gestossen, muss ich unbedingt memorieren. Ich liebe Scrabble! Später Halt gemacht im Bioladen: Ingwershot und Tuttifrutti . Am Selbstbedienungsstand der Gärtnerei im Glück (die heisst wirklich so) vier Dänkeli mit intensiven Farben und ebensolchen Äuglein erworben; sie werden den Topf mit der Hausrebe in ein blühendes Frühlingswunder verwandeln – zumindest für mein Auge. Auf dem Friedhof in Männedorf das Grab meiner Mutter aufgesucht, seit Jahren erstmals wieder. Sie liegt, noch heute berührt mich das seltsam, neben einem einstigen guten Bekannten, der viel zu jung mit dem Velo unters Tram kam. S. hatte mich übrigens zum Friedhofsbesuch inspiriert. Sie sagte am Telefon, sie würde einen Spaziergang zu Friedrich Glausers Grabstätte im Friedhof Manegg unternehmen. Man geht in diesen Zeiten die Toten besuchen, nicht die Lebenden. Die Lebenden sah ich dann gleichwohl noch in Gestalt von Freunden in deren Garten inklusive Sprudel und Käsewähe. Sie, die im Spital arbeitet, erzählt, dass sich für sie im Alltag kaum etwas verändert hat und trotzdem alles vollkommen surreal sei: leer und still. Die Ruhe vor dem Sturm im Spital? Er läuft seinerseits zu Hause zu kreativer Hochform auf, erfindet Spiele für die Enkelinnen, designt Rätsel, malt. Nach zwei Stunden plaudern im Garten unter Einbau diverser Extraschlaufen wieder zurück nach Stäfa spaziert. Seither ist es wieder still. Nicht mal ansatzweise Lust, noch irgendetwas “Gescheites” zu tun. Putzwut und Kleideraufräumwahn: melden sich nicht zum Dienst. Wie es aussehen könnte, wenn dieselben zum Zug kommen, möchte ich aber niemandem vorenthalten. Voilà der Kleiderschrank von F3 nach dem Kondo-Tsunami:

Endlich diese Übersicht: Kasten post Kondo.

Tag 11

Unterdessen schreiben wir Tag elf des viral bedingten und deswegen staatlich erbetenen Daheimbleibens. Ich liebe die Zahl elf, keine Ahnung wieso, aber ich assoziiere sie mit Narretei. Umso lustiger, treffen ausgerechnet heute etliche “Bekennerschreiben” ein, was denn jeder so macht die liebe lange Zeit zu Hause. Ich darf nicht alles weitertratschen, kann aber sagen, das Spektrum ist durchaus erheiternd. Fangen wir fairerweise bei mir selbst an. Ich hab die Hanteln vom oberen Stock in mein Wohnzimmer=Büro hinuntergetragen, um nun in meinem Wohn-zimmer=Büro=Hantelraum jederzeit den Trizeps trainieren und gleichzeitig auf den Monitor schielen zu können. Der Trizeps ist, Betroffene wissen es, jener unzumutbare Muskel am hinteren Oberarm, der unansehnlich zu wackeln beginnt, wenn man ihn nicht ständig in Form hält. Meine Zweikilo-Hänteli werden der Schwerkraft nicht Einhalt gebieten können, wirken aber irgendwie “psychologisch” (Hilfe, Peter Schneider!).
Dann gabs das Bekenntnis von F1 (FreundIn 1), schon frühmorgens mit Vergnügen “Tom und Jerry” zu schauen. Aber, so F1: “Nachdem ich den Backofen geputzt hatte, fühlte ich mich ganz leer.” F2 erging es folgendermassen: Die Corona-Welle überrollte ihn plötzlich wie ein Tsunami, so dass er irgendwann keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich von allem abzukapseln, in blindem Aktionismus sämtliche Gruppenchats zu verlassen, die Wollkappe über die Ohren zu ziehen und sich bäuchlings auf den Boden zu legen: Adieu tschüss! (Der Antrag für den Wiedereinstieg in den Gruppenchat ist noch hängig ;-). F3 schliesslich hat den kühnen Gedanken gefasst, nach dem Prinzip Marie Kondo den Kleiderschrank zu räumen. Ihr wisst schon: Diese irre Japanerin, die nur drei Kleidungsstücke besitzt und uns beim Neuorganisieren unserer Hüdeli “hilft”. Jedenfalls schreibt F3: “Jetzt muss ich jedes Stück in die Hand nehmen und in mich hinein horchen, was ich empfinde. Ich bekomme jetzt dann grad ein Burnout.” (Ich schreie.) Und: Der Bikini sei verschüttetet, vermutlich sage er gar nichts mehr, weil er erstickt sei. (Ich schreie noch mehr.) Schliesslich schickt F3 das Bild eines – bis auf ein Objekt – leeren Schrankes und den Kommentar: “Schrank mit einem Stück, das ich liebe.” (Ich japse.)
Ihr Lieben! Danke für euren umwerfenden Humor und eure überaus nachahmenswerten Strategien, den Alltag zu bewältigen.

“Schrank mit einem Stück, das ich liebe”: F3 räumt auf.