CORONA-BLOG

Tag 16

Kann es sein, dass die Epidemie, die zwar Angst und Schrecken mit sich bringt, vor allem aber auch eine ungeheure Solidarität und Hilfsbereitschaft in den Menschen wachruft, bereits das nächste Krankheitsstadium erreicht hat? Eoigsmus und Besserwissertum verbreiten sich plötzlich wieder in Windeseile, und wo grad noch grosses Vertrauen da war, alles nun gemeinsam zu packen, greifen heute die “Mächtigen” schon wieder nach ihren Pfründen, was wiederum die “Untergebenen” ihrer Kraft beraubt, die sie ja eigentlich zu geben hätten – und auch geben wollten. Und schon wären wir wieder beim alten Spiel. Ich bin es müde.

Tag 15

Einige Parteien fordern per Mitte April bereits eine Lockerung des Arbeits- und Ladenöffnungsverbots. Nichts gegen ihre hoffentlich gute Absicht, Unternehmen und Gewerbetreibende vor dem Untergang zu bewahren. Aber seltsam ist ihr Vorhaben schon, wenn nicht realitätsfern. Bei den Menschen dieses Landes setzt sich mittlerweile eine andere Sicht der Dinge durch: Es wird noch ziemlich lange dauern, so die Stimmen im Umfeld. Halten wir lieber jetzt durch. Denn: Würden wir jetzt aufgeben, riskierten wir eine Verschlimmerung der Situation und provozierten am Ende gar Welle zwei. Die gefürchtete zweite Welle. Wer sich mit dem Ablauf der Spanischen Grippe befasst hat, dem graut in der Tat vor einer zweiten Welle – von der dritten nicht zu reden.
Darüber hab ich mich heute auch per Videochat mit dem Lieblingssohn und der Lieblingsschwiegertochter unterhalten. Sie sind, er 35, sie 30, noch viel konsequenter und strikter als ich. Und das, obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie Mitte Juni Eltern werden. Sie stellen sich jetzt schon darauf ein, noch ein Weilchen mit vielen Komplikationen umgehen zu müssen und schliessen nicht aus, dass dieses Weilchen über den Geburtstermin hinaus gehen können. Das beeindruckt mich, hilft durchzuhalten und auf ein Treffen im Freien, das ich vorgeschlagen hatte, zu verzichten. Schliesslich sind die Dreissiger und natürlich auch die Zwanziger und die Vierziger und die Zehner – hach, meinetwegen alle – die Generationen, die den Karren wieder zum Laufen bringen müssen, wenn Corona vorbei sein wird. Ohne weitere Wellen. So hoffen wirs. Chears!

Tag 14

Statt eines Posts ein Lieblingsgedicht:

Soviel Gestirne, die
man uns hinhält. Ich war,
als ich dich ansah – wann? –
draussen bei
den andern Welten
O diese Wege, galaktisch
o diese Stunde, die uns
die Nächte herüberwog in
die Last unsrer Namen. Es ist
ich weiss es, nicht wahr,
dass wir lebten, es ging
blind nur ein Atem zwischen
Dort und Nicht-da und Zuweilen,
kometenhaft schwirrte ein Aug
auf Erloschenes zu, in den Schluchten,
da, wo’s verglühte, stand
zitzenprächtig die Zeit,
an der schon empor- und hinab-
und hinwegwuchs, was
ist oder war oder sein wird -,

ich weiss,
ich weiss und du weisst, wir wussten,
wir wussten nicht, wir
waren ja da und nicht dort,
und zuweilen, wenn
nur das Nichts zwischen uns stand, fanden
wir ganz zueinander.


Paul Celan, aus „Die Niemandsrose“, 1963

Tag 13

Der Sonntag haut rein. Er zieht sich hin wie sie: die Ausnahmezeit, die kein Ende nehmen will. Steigende Ansteckungen weltweit, steigende Todesfälle ebenfalls. Der Peak der höchsten Ansteckungsrate wird im mittleren Szenario per Ende Mai erwartet. Im mittleren Szenario, notabene… Ausnahmezeit, diese wattegedämpfte Glocke, unter der wir hocken wie Gartenzwerge in der Wüste oder wie…? (Achtung, Wettbewerb: Für den besten Vergleich gibts wahlweise ein selbstgestricktes Corönchen oder ein selbstgestricktes Corönchen.)
Was, wenn die Ausnahmezeit nun zur Regel würde? Wenn der Optimismus Schiffbruch erlitte? Man will es sich nicht vorstellen. Erfreulicheres: Es mag absurd klingen, aber der Churchill-Film “Die dunkelste Stunde” (27. März, 20.15 Uhr, auf S1) hat mich für anderthalb Stunden in eine andere Zeit katapultiert – und ja: mir ein Lichtlein angezündet. Ich möchte die der-zeitige Pandemie nicht mit dem Grauen des Zweiten Weltkriegs gleichset-zen, doch zurückschauen hat etwas Entspannendes, vor allem weil wir ja schon wissen, dass die Guten siegreich waren. Churchill jedenfalls, dieser eigenwillige Kauz und “Hochrisikomanager” (wie ihn ein Wirtschaft-medium titulierte): Er fesselt ungemein. Entschieden stellte er sich 1940 nach seiner Wahl zum Premier gegen “Friedensverhandlungen” mit den Nazis und schaffte es, sein Land im Kampf gegen das Schreckensregime hinter sich zu einen und damit nicht nur den Briten, sondern allen Europäern einen Funken Hoffnung zu schenken. Was heisst hier einen Funken? Einen ganzen Funkenregen! Den wünsch ich euch auch. Einsingen mit Stimmtuul um neun Uhr morgens hilft vielleicht. Viel Vergnügen.

Tag 12

Stundenlang durch die Welt spaziert heute. Durch Rebberge, Wälder und Felder. Auf einer Mauer im Lattenberg Zeitung gelesen. Im “Magazin” auf den online scrabbelnden Patrick Frey gestossen, muss ich unbedingt memorieren. Ich liebe Scrabble! Später Halt gemacht im Bioladen: Ingwershot und Tuttifrutti . Am Selbstbedienungsstand der Gärtnerei im Glück (die heisst wirklich so) vier Dänkeli mit intensiven Farben und ebensolchen Äuglein erworben; sie werden den Topf mit der Hausrebe in ein blühendes Frühlingswunder verwandeln – zumindest für mein Auge. Auf dem Friedhof in Männedorf das Grab meiner Mutter aufgesucht, seit Jahren erstmals wieder. Sie liegt, noch heute berührt mich das seltsam, neben einem einstigen guten Bekannten, der viel zu jung mit dem Velo unters Tram kam. S. hatte mich übrigens zum Friedhofsbesuch inspiriert. Sie sagte am Telefon, sie würde einen Spaziergang zu Friedrich Glausers Grabstätte im Friedhof Manegg unternehmen. Man geht in diesen Zeiten die Toten besuchen, nicht die Lebenden. Die Lebenden sah ich dann gleichwohl noch in Gestalt von Freunden in deren Garten inklusive Sprudel und Käsewähe. Sie, die im Spital arbeitet, erzählt, dass sich für sie im Alltag kaum etwas verändert hat und trotzdem alles vollkommen surreal sei: leer und still. Die Ruhe vor dem Sturm im Spital? Er läuft seinerseits zu Hause zu kreativer Hochform auf, erfindet Spiele für die Enkelinnen, designt Rätsel, malt. Nach zwei Stunden plaudern im Garten unter Einbau diverser Extraschlaufen wieder zurück nach Stäfa spaziert. Seither ist es wieder still. Nicht mal ansatzweise Lust, noch irgendetwas “Gescheites” zu tun. Putzwut und Kleideraufräumwahn: melden sich nicht zum Dienst. Wie es aussehen könnte, wenn dieselben zum Zug kommen, möchte ich aber niemandem vorenthalten. Voilà der Kleiderschrank von F3 nach dem Kondo-Tsunami:

Endlich diese Übersicht: Kasten post Kondo.

Tag 11

Unterdessen schreiben wir Tag elf des viral bedingten und deswegen staatlich erbetenen Daheimbleibens. Ich liebe die Zahl elf, keine Ahnung wieso, aber ich assoziiere sie mit Narretei. Umso lustiger, treffen ausgerechnet heute etliche “Bekennerschreiben” ein, was denn jeder so macht die liebe lange Zeit zu Hause. Ich darf nicht alles weitertratschen, kann aber sagen, das Spektrum ist durchaus erheiternd. Fangen wir fairerweise bei mir selbst an. Ich hab die Hanteln vom oberen Stock in mein Wohnzimmer=Büro hinuntergetragen, um nun in meinem Wohn-zimmer=Büro=Hantelraum jederzeit den Trizeps trainieren und gleichzeitig auf den Monitor schielen zu können. Der Trizeps ist, Betroffene wissen es, jener unzumutbare Muskel am hinteren Oberarm, der unansehnlich zu wackeln beginnt, wenn man ihn nicht ständig in Form hält. Meine Zweikilo-Hänteli werden der Schwerkraft nicht Einhalt gebieten können, wirken aber irgendwie “psychologisch” (Hilfe, Peter Schneider!).
Dann gabs das Bekenntnis von F1 (FreundIn 1), schon frühmorgens mit Vergnügen “Tom und Jerry” zu schauen. Aber, so F1: “Nachdem ich den Backofen geputzt hatte, fühlte ich mich ganz leer.” F2 erging es folgendermassen: Die Corona-Welle überrollte ihn plötzlich wie ein Tsunami, so dass er irgendwann keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich von allem abzukapseln, in blindem Aktionismus sämtliche Gruppenchats zu verlassen, die Wollkappe über die Ohren zu ziehen und sich bäuchlings auf den Boden zu legen: Adieu tschüss! (Der Antrag für den Wiedereinstieg in den Gruppenchat ist noch hängig ;-). F3 schliesslich hat den kühnen Gedanken gefasst, nach dem Prinzip Marie Kondo den Kleiderschrank zu räumen. Ihr wisst schon: Diese irre Japanerin, die nur drei Kleidungsstücke besitzt und uns beim Neuorganisieren unserer Hüdeli “hilft”. Jedenfalls schreibt F3: “Jetzt muss ich jedes Stück in die Hand nehmen und in mich hinein horchen, was ich empfinde. Ich bekomme jetzt dann grad ein Burnout.” (Ich schreie.) Und: Der Bikini sei verschüttetet, vermutlich sage er gar nichts mehr, weil er erstickt sei. (Ich schreie noch mehr.) Schliesslich schickt F3 das Bild eines – bis auf ein Objekt – leeren Schrankes und den Kommentar: “Schrank mit einem Stück, das ich liebe.” (Ich japse.)
Ihr Lieben! Danke für euren umwerfenden Humor und eure überaus nachahmenswerten Strategien, den Alltag zu bewältigen.

“Schrank mit einem Stück, das ich liebe”: F3 räumt auf.

Tag 10

Sie wollen mich nicht auf dem Feld. Das ist kein Witz. Die Antwort von der Jucker-Farm (die und deren verlinkte Höfe in meiner Nähe wären) ist lapidar: Sie hätten schon genügend Erntehelfer. Was denn nun: genügend oder nicht – und wieso dann die verzweifelten Aufrufe nach mehr Personal? Egal, denke ich. Wenn sich nun tous les suisses als Erntehelfer verdingen, umso besser. Dann werden all die Spargeln hoffentlich allesamt geerntet und allesamt auch gegessen. Ich starte noch einen Feldversuch in Flaach, dem kantonal wichtigsten Anbaugebiet von Spargeln. Und falls die mich auch nicht wollen, spiele ich halt wieder Pianoforte (sorry, liebe Nachbarn). Ansonsten: nur gearbeitet heute, kein Spaziergang (das Fehlen desselben ist spürbar), für mehrere Tage Wurzelgemüse-Curry gekocht, Fernstzerwürfnissen beigewohnt, beruflich und auch privat. Die hören ja nicht einfach auf, nur weil Corona gerade das Zepter schwingt. Aber sie finden vielleicht andere Wege, beigelegt zu werden, gerade weil Corona das Zepter schwingt. So hoffe ich und versuche, meinen Teil zur Lösung beizutragen. Und sonst habe ich heute leider keinen Gedanken für euch.

Da wummert doch noch ein Gedanke: Was bedeutet es, Freiheit zu haben? Ist Freiheit ein Gefühl oder Gewissheit? Und hat Corona das Gefühl oder die Gewissheit beschnitten? Wenn ja, wie? Anders gefragt: Lebten wir bis anhin in einer Illusion des Gefühls von Freiheit oder in deren Gewissheit? Ich lechze nach Antworten. Bitte melden!

Tag 9

Dunkel kann ich mich erinnern, als ich in den noch “harmlosen” Anfängen der Corona-Tage sagte: Wovor ich mich am meisten fürchte, ist die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit. Das ist mittlerweile noch nicht vollumfänglich, aber zu wahrscheinlich etwa 80 Prozent eingetroffen. Erstaunlicherweise kann ich besser damit umgehen, als ich mir damals dachte – bis jetzt. Deswegen überlege ich: Was tun, wenn plötzlich freie Zeit da ist? Das ist übernächste Woche der Fall, wenn wir keine Zeitschrift zu produzieren haben. Wieder Klavier spielen: klar. Theaterstücke erfinden: ja, auch. Aber mein dringendstes Bedürfnis ist es, raus aus dem (sehr wohl sehr schönen) Haus zu kommen. Dem kreislaufenden Zusammensein mit mir selbst eine Pause zu gönnen. Drum habe ich mich zum freiwilligen Ernteeinsatz gemeldet. Dies nachdem ich in den News vernahm, dass zumal die Spargeln im Boden zu bleiben drohen, wenn sich nicht genügend Erntepersonal einstellt – und dieses kommt gewöhnlich aus dem Ausland, kann aber jetzt wegen Corönchen nicht mehr einreisen. Ich werde wahrscheinlich zusammenbrechen nach zehn ausgestochenen Spargeln, werde 20 Kilo abnehmen und 30 Kilo wieder zufuttern, aber doch: Ich freu mich drauf – falls man mich denn will auf dem Feld 😉
Amici del sud, amici del nord, amici del lavoro agricolo, amici da dappertutto: vi abbraccio!

Tag 8

An diesem freien Tag , da ich eigentlich nur Turnübungen absolvierte, Waschungen aller Arten vornahm und einkaufen ging, ist mir ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Aber erst gehen wir einkaufen, man muss den Tag vernünftig einteilen, sonst droht er einen zu überrollen mit dem ewigen Einerlei. Im Migros gibts alles – ausser das, was ich gebraucht hätte: einen Schraubhaken, an dem man eine Vorhangstange aufhängen könnte. Denn die Warenregale mit den paar Werkzeugen sind abgesperrt wie auch jene mit den Glühbirnen. Was mich seltsam dünkt, weil Glühbirnen für die Aufrechterhaltung des Daheims nicht unerheblich sind, geschweige denn Nagel und Hammer. Dafür gibts Kerzen in rauen Mengen, um unsere Höhlenwände zu beschimmern. Zurück zu den Schraubhaken. Damit hat es folgende Bewandtnis: Wenn ich homeoffice, blendet mich die Sonne trotz Storen so sehr, dass ich nichts sehe ausser meiner eigenen Spiegelung, und von der habe ich nach einer Woche in mehreren Belangen mehr als genug. Also würde ich gern an zwei Schraubhaken eine Vorhangstange (inkl. Vorhang natürlich) montieren, auf dass ich in Zukunft wieder mehr als (meine) Spiegelung sehe. Auf dem Spaziergang später durch den Wald überlege ich an einer Modifizierung der Gardinenaufhängung, hab auch eine Idee – und nach dem Besuch im Garten von P.: einen Haken! Denn P. hat werkzeugtechnisch alles zu bieten, was Migros nicht mehr verkaufen darf. Wieder zu Hause: den Vorhang nähen (Stoffe habe ich à gogo) und die ganze Chose montieren. Das ist im Hui erledigt, und es ist immer noch erst 17.30 Uhr. Hier noch der versprochene Gedanke: Niemand kann derzeit irgendwas verpassen, weil alle das Gleiche tun: zu Hause bleiben. Wahrlich eine Unité de doctrine.

Tag 7

Senile Bettflucht, viel zu viel gearbeitet, vor allem zu nonstop. Abends endlich ein Spaziergang durch den Rebberg, von oben nach unten, von links nach rechts und wieder zurück. Das Glitzern des Sees, wolkenlos der Himmel, eiskalt die Bise, auf Abstand die Begegnung mit andern Flaneuren. Corona beherrscht auch an Tag 7 alle Kanäle und Gedanken, es gibt kein Vorbeikommen, nur ein sich Draufeinlassen. Zu Hause bleiben, die Ungewissheit aushalten, auch die Einsamkeit manchmal. Eine Facetime-Telefon mit Freunden: wie schön! Und dann ein Sturz von der steilen Treppe im Flarzhäuschen – weil ein Gedanke nach dem Motto “Nie leer laufen” dem Teeglas in der oberen Etage nachhing, das nach unten hätte gelangen müssen, ein anderer aber bereits den Compi mit einer Idee speisen wollte. Kurzschluss im Hirn sozusagen, die Füsse überkreuzten sich, und Frau strauchelte. Ohne Rippenbruch diesmal, immerhin. Aber eine monströse Prellung steht in Aussicht, die erst die Farbe von reifen Zwetschgen annehmen dürfte, die dann ins Giftgrün wechseln und sich schliesslich als Zeichen baldiger Heilung in jenes Sturmgelb verwandeln würde, das einen ganz kirre macht. Farbenlehre auf dem Oberschenkel. Aber nichts im Vergleich zur beklemmenden Corona-Atemnot.
Hier noch ein bisschen Zuversicht von Zukunftsforscher Matthias Horx.
Und hier ein Bild des menschenleeren HB Zürich von Fotograf Philipp Rohner: hoch ästhetisch und zutiefst beklemmend.


Der HB Zürich in Zeiten von Corona, fotografiert von Philipp Rohner.